Vor eineinviertel Jahren (26.3.2020 und 1.4.2020) haben wir auf dieser Seite dargestellt, wie das Coronavirus der Wirtschaft aus der Krise hilft. Der „Gelduntergang“ mit massiver Entwertung des Aktienkapitals, ablesbar am DAX, war schon deutlich erkennbar, bevor es überhaupt den ersten Coronatoten in Deutschland gab. Es handelte sich um eine Finanzmarktkrise, eine Überproduktions- und Absatzkrise, die ursächlich gar nichts mit dem Coronavirus zu tun haben konnte, denn sie war eben schon früher da. In der zuvor größten Finanzmarktkrise im Jahre 2008 gab es eine skandalöse „Bankenrettung“ der Regierungen, auch der deutschen Bundesregierung, die dafür Milliarden Euro Steuergeldern verschwendete. Dazu gab es massive Proteste. Das sollte sich 2020 so nicht wiederholen. Also wurde die „Bankenrettung“ 2020 als sogenannte „Coronahilfe“ maskiert. 600 Milliarden Euro an Steuergeldern flossen laut Bundesregierungsbeschluß und vom Parlament bestätigt in den unproduktiven Finanzmarktsektor. Jeder einzelne Bundesbürger hat damit die Finanzkapitalisten mit durchschnittlich 7500 Euro an Steuergeldern gemästet. Corona machte es möglich, daß es diesmal ohne nennenswerte Proteste durchgezogen werden konnte. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen:

Im Vergleich zu den 600 Milliarden für die oberen < 1% der Bevökerung müßte sich der Rest der Bevölkerung in Bescheidenheit üben, was die „Coronahilfen“ betraf:
3 Milliarden für die Soziale Sicherung. Diese 3 Milliarden sind für die Lohnabhängigen, die Arbeitslosen und ihren Familien, also etwa 90 % der Bevölkerung.
50 Milliarden für Selbständige, Freiberufler und Kleine Unternehmen, also diejenigen, die sozial zwischen Proletariat und Kapitalistenklasse einzuordnen sind. Das sind etwa 9 % der Bevölkerung.
Wäre es nicht an der Zeit, sich wenigstens einen Teil des Geldes von den Aktienkapitalbesitzern zurückzuholen, durch eine sofortige Vermögensabgabe auf Aktienbesitz in Höhe von 27 %, also genau den Betrag, den diese durch die „Coronaspekulation“ gewonnen hatten?
Dann hätte kein Kapitalist weniger DAX-Aktien-Eigentum als im Jahresdurchschnitt 2019 vor der sogenannten „Coronakrise“. Nur der Gewinn aus deren „Coronaspekulation“ flösse in die öffentlichen Kassen zurück. Als revolutionäre Kommunisten könnten wir sie natürlich auch ganz enteignen wollen, damit diese keine Chance haben, eine solch freche Ausplünderung des Staatshaushaltes die jeden einzelnen von uns durchschnittlich 7500 Euro Steuerlast kostete, noch einmal zu wiederholen.
Den ökonomischen Zahlen stellen wir gegenüber: die Entwicklung der grippeähnlichen Erkrankungen insgeasamt, darin ist der Anteil der COVID19 Erkrankungen enthalten. Bitte beachten: In der vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Grafik sind die rot unterlegten Anteile der COVID19 Erkrankungen (rechte Skala) an der Gesamtzahl der grippeähnlichen Erkrankungen (linke Skala) zehnfach überhöht dargestellt.

Im Weiteren folgen wir den guten Argumenten unserer Genoss*innen aus unserem östlichen Nachbarbundesland
.https://www.dkp-mv.de/fast-90-000-tote-und-eine-geldschwemme-wie-vor-100-jahren/
Das Desaster der Pandemie-Bekämpfung in Deutschland
Corona ist an allem schuld. Dass die Wirtschaft leidet, dass Millionen Kurzarbeiter und Insolvenzen zu verzeichnen sind, dass die Krankenhäuser am Ende und die Freiheit bedroht ist. So schallt es aus bürgerlichen Medien.
In Wahrheit ist „Corona“ nur die Krönung einer sich seit 20 Jahren zuspitzenden Krise des „globalen“ Finanzkapitalismus. Nur am Tropf der Niedrigzinsen, nur durch wachsenden Druck auf die Arbeitenden und die Propaganda der „Alternativlosigkeit“ konnte der Kreislauf-Kollaps des Systems hinausgeschoben werden. Plötzlich kam eine globale Seuche noch „on top“. Plötzlich rückte ein anderer Gesichtspunkt als die Geldvermehrung wieder ins Licht: das Leben. Der entfesselte Finanzkapitalismus, eh schon angezählt, stand vor einer (für ihn) ganz unvorstellbaren Herausforderung.
Dabei war diese Pandemie gar nichts Neues. 2002/3 verursachte der Vorläufer von Corona, das Virus SARS-CoV-1, bereits eine kurze Pandemie, ebenfalls aus Coronaviren entstanden, die im Tierreich verbreitet sind (s. Ärzteblatt). Und immer wieder flammten ähnliche Seuchen auf, z.B. MERS-CoV in 2012. Die Vorbereitung auf solche Fälle hätte jedoch Geld gekostet, das für Wichtigeres gebraucht wird, z.B. neue Kampfflugzeuge.
Das Gute im Schlechten: die Pandemie bringt die Krankheiten des neoliberalen Kapitalismus ans Licht, sie vergrößert die Risse und Widersprüche der „globalen“ Gesellschaftsordnung. Der Umgang mit Corona zeigt einerseits das nackte Klasseninteresse – Geld wichtiger als Leben – andererseits aber das Wanken des Systems, seine Unfähigkeit in der Bewältigung der Herausforderung, seinen Niedergang. Ein wenig gleicht das der Niederlage des maroden Zarenreichs im russisch-japanischen Krieg 1905.
Phase 1 – Verleugnung und Schockstarre
Nachdem Ende Januar 2020 die ersten Erkrankungsfälle in Deutschland auftraten, reagierte die Öffentlichkeit wie auf der Titanic: Uns kann doch nichts passieren. Noch am 2. März beruhigte Prof. Drosten von der Charité: „Das Risiko für die Gesellschaft ist gestiegen, die Gefahr für den Einzelnen ist aber weiterhin nicht groß.“
In diesen Tagen erklärten Wissenschaftler das Tragen von Schutzmasken für nutzlos (es gab ja keine), Klopapier war ausverkauft und Desinfektionsmittel ebenso. Am 4. März versicherte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, wohl noch unter Schock: „Die Sicherheit der Bevölkerung geht vor – auch vor wirtschaftlichen Interessen.“ Einige Kumpels von der CDU hatten den Schreck schneller verkraftet und verdienten Millionen mit Maskengeschäften.
Phase 2 – Rückkehr zu Business as usual
Da heute alles Geschehen in Geldform behandelt und verrechnet wird, gab es für die herrschende Klasse nur Eine Frage: nicht, wie das Leben „unter Pandemiebedingungen“ zu schützen ist, sondern: wie ist die Kapital-Akkumulation zu schützen? Jens Spahn erholte sich schnell und präzisierte am 4. April: „Es geht darum, die richtige Balance zu finden zwischen Gesundheitsschutz und gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen.“
„Balance“ – das bedeutet konkret: „Gesundheit“ darf nicht so viel kosten, dass das Profitmachen leidet. Die ganze Dialektik der sog. Corona-Krise ist kein Konflikt zwischen „Gesundheits-Schutz“ und unterdrückten „Freiheits-Rechten“, wie die Kartell-Medien zu behaupten nicht müde werden, sondern der Konflikt zwischen menschlichem Leben und abstrakter Kapitalvermehrung, den Marx vor 150 Jahren aufdeckte.
Bei – aus heutiger Sicht – lächerlichen Infektionszahlen begann der erste „Lockdown“ am 22. März 2020. Zur „Beschränkung sozialer Kontakte“ wurde u.a. ein Mindestabstand im öffentlichen Raum von 1,50 Metern eingeführt; der Aufenthalt draußen war nur allein oder mit einer weiteren Person außerhalb des eigenen Hausstands gestattet. Gastronomie und zahlreiche weitere Dienstleistungsbetriebe wurden geschlossen.
Während des ersten Lockdowns erreichte die Epidemie ihren Höhepunkt Anfang April 2020 mit einer bundesweiten Inzidenz von 43,9. Zum Vergleich: bei fast dem doppelten Wert, rund 80, verkünden Mitte Mai 2021 deutsche Länderchefs vollmundig die Öffnung von Schulen, Geschäften, Gastronomie. Dass diese Widersprüche unbemerkt bleiben, lässt sich nur dadurch erklären, dass der breiten Öffentlichkeit mittlerweile auch das historische Kurzzeit-Gedächtnis schwindet. Selbst wenn der Wert vom Mai 2021 durch vermehrtes Testen nicht 1:1 vergleichbar ist zum Vorjahr, fällt doch auf, dass die staatliche Latte für „Lockerungen“ permanent heruntergesetzt wurde.
Geldschwemme im Schatten der Pandemie
Obwohl weder Corona noch Lockdown für die Wirtschaftskrise verantwortlich waren, versüßte der Staat der Finanzwelt die schwere Zeit mit Milliarden Zuwendungen – der größte Raubzug seit der Umverteilung im Crash 2008, eine ähnliche Geldflut wie 1923.
Ende März verkündete die Regierung einen 600 Milliarden EUR umfassenden „Wirtschaftsstabilisierungsfond“. Der Staat stützt damit „Unternehmen der Realwirtschaft, deren Bestandsgefährdung erhebliche Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort oder den Arbeitsmarkt in Deutschland hätte“ – Großunternehmen mit mindestens 2000 Beschäftigten und 320 Millionen Euro Jahresumsatz (BMWi). Damit die Banken nicht leer ausgehen, springt der Staat ein, wenn Konzerne Miese machen. Sind sie wieder flott, fließen die Gewinne in private Taschen.
Über zwei Billionen EUR Staatsschulden. Wer zahlt die Zeche? Die arbeitende Klasse. Entweder durch Inflation oder durch drakonische Steuern und Abgaben. Im Prinzip wird der Crash nur kommenden Generationen zugeschoben, ihnen wird die Rechnung präsentiert.
Im Juni 2020 hatten deutsche Firmen für insgesamt 11 Millionen Menschen Kurzarbeit beantragt. Das Kurzarbeitergeld, das die soziale Lage entspannt und die Massenarbeitslosigkeit verschleiert, wird aus dem Wirtschaftsfond nicht finanziert, sondern aus der Arbeitslosenversicherung. Deren Budget war natürlich schnell aufgebraucht, so dass der Staat aus Steuergeldern rund 20 Mrd EUR zuschießen muss.
Mit „Soforthilfen“ wurden kränkelnde Großunternehmen wie Lufthansa (9 Mrd. EUR) und Galeria Kaufhof aufgepeppt, aber Kleinbetriebe und Selbständige sollten doch auch etwas bekommen. Ihnen spendiert der Staat eine „Überbrückungshilfe“ von insgesamt 50 Milliarden EUR, und zwar für Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten max. 9.000 EUR, für Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern max. 15.000 EUR, größere Unternehmen können bis zu 150.000 EUR beantragen. Diese milde Gabe wird manchen Gastronomen, Handwerker, Freiberufler oder Kulturschaffenden zu Tränen gerührt haben.
Für alle Fälle gibt es ja noch „Hartz IV“.
Globales Monopoly
Nachdem das 2. Quartal den stärksten Einbruch des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zum Vorquartal seit 1970 brachte, ging es im 3. Quartal wieder aufwärts, wen wundert‘s. Im Juni 2020 verabschiedete die Regierung ein „Konjunkturpaket“ von 130 Milliarden EUR: befristete Senkung der Mehrwertsteuer, einmaliger Kinderbonus, Zuschüsse für Kommunen, Senkung der (überhöhten) Stromkosten und der Clou, das „Zukunftspaket“: rund 50 Milliarden Euro fließen in „Zukunftsbereiche wie die Wasserstoffwirtschaft, Quantentechnologien und Künstliche Intelligenz.“ Diese „Zukunftsbereiche“ werden hauptsächlich in der Autoindustrie liegen und ihr helfen, das antiquierte Sortiment aufzufrischen. Auf Entlassungen wurde dort aber ebensowenig verzichtet wie auf die Erhöhungen von Dividenden und Vorstandsgehältern.
Und: die Aktien-Börse boomt! Tradingportale und Währungsgeschäfte erfreuen sich eines riesigen Zuspruchs. Im Juli 2020 notiert der deutsche Leitindex DAX fast auf Vor-Krisen-Niveau und nur knapp fünf Prozent unter seinem Allzeithoch. Im April 2021 steigt der DAX über 15.000 Punkte – höher als vor Corona.
Man muss sich das mal bildlich vorstellen: nachdem die herrschende Klasse jahrelang eine „Schuldenbremse“ zog, um Löhne und Sozialleistungen zu kürzen und das Gesundheitswesen kaputt zu sparen, werfen ihre Vertreter plötzlich mit den Milliarden fröhlich um sich als wären sie Spielgeld. Nicht weil sie von Sinnen waren, nein: um ihre Herrschaft und das kapitalistische System zu retten, schritten sie nun beherzt zur neoliberalen Maximalsünde. Was nicht nur die Prinzipienlosigkeit (Anarchia) dieses Systems beweist, sondern auch, wie groß dessen Not inzwischen ist.
Knappheit wurde hergestellt
Erfolgreich verdrängt wurde die Geschichte der profitgetriebenen „Einsparungen“ im Gesundheitswesen. Plötzlich war hier landunter, es fehlten Intensivbetten; Pflegekräfte und Ärzte waren (sind immer noch) dem Zusammenbruch nahe. Dass dieser Notstand über Jahrzehnte produziert wurde, eine direkte Wirkung der neoliberalen Weltordnung, das fiel unter den Tisch – zu schnell wäre der Ruf nach einer anderen Wirtschaftsform laut geworden. Nein, weiter so, business as usual. Auch wenn sich, wie in Italien, die Leichenberge türmten. Eine Zeitlang konnte an den Opfer-Zahlen der Nationen der Durchsetzungs-Grad des Neoliberalismus in den einzelnen Ländern abgelesen werden.
Eine Personal-Aufstockung oder gar bessere Bezahlung in Krankenhäusern und Gesundheitsämtern war und ist natürlich undenkbar. Stattdessen kam schon ab März das Militär endlich mal zum Einsatz: bei der Kontaktnachverfolgung, in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Seitdem ist die Armee aus der Bekämpfung innerer Notlagen (des Kapitalismus) nicht mehr wegzudenken.
Im April wurde dann die Maskenpflicht eingeführt, aber Spahn ging das alles nicht schnell genug. Am 4. April frohlockte er schon: „Es werden vorsichtige erste Schritte sein – zurück in eine neue Normalität.“ Mit solchen Versprechungen von „Normalität“ oder „Lockerungen“ versuchen die Politiker seit anderthalb Jahren, das Volk zu beruhigen – sie erreichen damit aber das Gegenteil, Verwirrung und Verärgerung, da diese Schritte, selbst wenn sie tatsächlich kommen, immer wieder zurückgenommen werden müssen.
In den ersten „Hygienedemos“ (Berlin) formierte sich im April der Trotz gegen die Schutz-Maßnahmen. Ab Mai gingen die „Querdenker“ auf die Straße, um die verheißenen „Lockerungen“ einzufordern. In der anfangs bunt zusammengewürfelten Bewegung aus der „gebildeten Mittelschicht“ fand die herrschende Klasse einen willkommenen Verbündeten im Herunterspielen der Pandemie und im Kampf gegen jedwede Beschränkung der „Freiheit“, d.h. des Profitmachens. Die rechten Kinder des „globalen“ Kapitalismus unterstützen notfalls auch mit Gewalt dessen Strategie der „Herdenimmunität“. Am 29. August stürmten mehrere hundert Menschen das Reichstagsgebäude.
Am 4. Mai 2020 wurden Schulen, Kitas und Friseure geöffnet, ein paar Tage später Gastronomie und Geschäfte. In deutschen Medien begann man, Corona als besiegt und vergangen zu feiern. Puh, geschafft – Kapitalismus gerettet! Am 22. Juni 2020 sank die Inzidenz auf ein Rekordtief von 4,4. Davon können wir heute nur träumen. Und warum das so ist, erklärt sich aus der weiteren Geschichte.
Phase 3 – wiederholte Verleugnung und Lethargie
Die dritte Phase ähnelte der ersten, dauerte allerdings erheblich länger und hatte weit schlimmere Konsequenzen. Der größte Coup zur Verschleierung der Pandemie (griech. „das ganze Volk umfassend“) gelang durch einen kühnen Perspektivwechsel: die globale Seuche wurde zum lokalen Problem erklärt.
Mit dem Bund-Länder-Beschluss vom 6. Mai 2020 erhielten die Länder weitgehend die Verantwortung für weitere Lockerungen. Gleichzeitig wurde zum ersten Mal beschlossen, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit besonders hoher Inzidenz (über 50) schärfere Infektionsschutzmaßnahmen gelten sollten. Diese sogenannte Hotspot-Strategie wurde später in gemeinsamen Beschlüssen vom 7. und 14. Oktober 2020 ausgebaut und präzisiert.
Offenbar eignete sich die föderale Struktur der Bundesrepublik besonders gut, um die Regierung von Verantwortung zu entbinden und die Pandemie-Bekämpfung an die Landesfürsten, Städte und Landkreise abzuschieben. Was diese als Prestigegewinn ansahen, so dass sie begierig den Köder schluckten. Mit dieser lokalen Zersplitterung der Bekämpfung einer weltweiten Seuche wurde der Grundstein gelegt für die in Phase 4 ausbrechenden Anarchie – und für die sich rasant ausbreitende Seuche.
Marxisten ist diese Aufsplitterung in isolierte Einzelsubjekte, die miteinander konkurrieren, als eine klassische Erscheinungsweise kapitalistischer Entfremdung vertraut. Im Kampf gegen eine Pandemie wirkt diese Zersplitterung ungefähr so, wie wenn im Kampf gegen ein Großfeuer jeder Feuerwehrmann „sein“ Feuerchen für sich löschen will – und stolz nach Hause geht, wenn ihm das für den Moment gelungen erscheint.
Außer dieser strategischen Wende tat sich in der Pandemie-Bekämpfung weiter nichts Großes bis November. Der Bundestag beschloss zusätzliche Meldepflichten für Labore und Gesundheitsämter (ohne Personalaufstockung), Pflegekräfte sollen einen Bonus erhalten (keine Lohnerhöhung). Nicht zu vergessen die Corona Warn-App, die am 16. Juni 2020 mit viel Brimborium eingeführt wurde und der Pandemie offenbar keinen Schrecken eingejagt hat.
Deutschland konnte beruhigt in Urlaub fahren. Und Herr Spahn konnte es sich im August 2020 noch leisten, großspurig auf den ersten verfügbaren Impfstoff zu verzichten: „Sputnik V ist nicht ausreichend erprobt“. Hierzulande weiß man ja, was von russischen Produkten zu halten ist. Unruhig wurde man allerdings, als im August die Infektionszahlen wieder stiegen. Offiziell wurde das auf „Heimkehrer aus Risikogebieten“ zurückgeführt (die britische Mutante gab es noch nicht). Damit niemand auf die Idee käme, den völlig unvorbereiteten Schulbeginn für die Ausbreitung verantwortlich zu machen, versicherte der Gesundheitsminister, der Regelbetrieb in Schulen und Kitas habe insbesondere nach den letzten Monaten Priorität.
Ende September 2020 wiesen Bremen (27,5), Berlin (26,5), Hamburg (23,2) und Nordrhein-Westfalen (19,3) die höchsten 7-Tage-Inzidenzen pro 100.000 Einwohner auf.
Um diese Zeit dämmerte es den oberen Etagen im Staate, dass wir es mit einer „Zweiten Welle“ zu tun haben. Und auf diese war man dank monatelanger Verdrängung noch weniger vorbereitet als auf die erste – obwohl Virologen schon früh vor der Rückkehr der Pandemie gewarnt hatten. Weder Gesundheitsämter, noch Krankenhäuser und schon gar nicht Schulen und Kitas waren in den ruhigen Monaten ausgerüstet worden. Masken mussten zwar demonstrativ getragen werden, aber in den allermeisten Betrieben lief die Arbeit einfach weiter, so dass sich dort die Infektion weiter ausbreiten konnte.
Phase 4 – Zusammenbruch, Anarchie und Panik
Am 29. September 2020 beschließt die neue Macht im Staate, die sog. „Bund-Länder-Konferenz“, neue Corona-Maßnahmen. Mit der bewährten Hotspot-Strategie soll künftig „regionalspezifisch“ in zwei Schritten auf die Pandemie reagiert werden: bei einer Inzidenz von 35 (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen) können private Feierlichkeiten in öffentlichen Räumen mit maximal 50 Personen stattfinden. Ab Inzidenz 50 darf man nur noch mit 25 Personen feiern. Offenbar gingen diese feinkalkulierten Regelungen davon aus, dass mit einem Virus ebenso gedealt werden kann wie mit einer Gewerkschaft.
Da in Schulen und Kitas häufig über 25 Personen zusammenkommen, diese Einrichtungen aber zur Produktion tauglicher Arbeitskräfte (oder damit die Eltern Mehrwert schaffen können) um jeden Preis in „Regelbetrieb“ bleiben müssen, beauftragten Bundesgesundheitsminister Spahn und Bundesfamilienministerin Giffey eine Studie, die am 19. Oktober veröffentlicht wurde und natürlich zum Ergebnis kam, dass Kitas keine Infektionsherde und Kinder keine Infektionstreiber sind. Andere Studien kamen zu anderen Erkenntnissen – ein Beispiel für die Anarchie im Reich der Wissenschaft.
Am 22.Oktober erreichte Berlin die Inzidenz von 100. Im gesamten Monat Oktober wurden in Deutschland fast 230.000 neue Infektionen und über 960 weitere Tote erfasst, also etwa das 5-fache des Vormonats. Fast 2.000 Personen befanden sich in intensivmedizinischer Behandlung. Über 1000 davon mussten beatmet werden.
Und so erstaunlich es ist: nichts passierte. Oder fast nichts. Am 3. November 2020 beschloss die Regierung einen „Lockdown light“: Schließungen in Gastronomie und Kultur – aber Schulen und Kitas bleiben offen, ebenso wie der Groß- und Einzelhandel. In dieser Zeit, am 6. November, sterben schon durchschnittlich 280 Personen am Tag „in Zusammenhang“ mit Covid-19.
Aus Angst vor dem Zorn des Kapitals verstreichen weitere sechs Wochen ungenutzt. In dieser Zeit bildet sich das hohe Niveau der „Durchseuchung“, das 2021 zum zweiten, katastrophalen Corona-Jahr macht und zigtausende Tote fordern wird. Das Fortdauern der Pandemie, sehr wahrscheinlich in den nächsten Jahren, ist kein Naturereignis, sondern durch Versagen der Bundesregierung (und anderer Regierungen) produziert.
Viel zu spät, erst am 16. Dezember, tritt ein zweiter „harter Lockdown“ in Kraft – die meisten Geschäfte sowie Schulen und Kindergärten schließen. Am 25. Dezember steigt die deutsche Inzidenz auf den bisherigen Höchstwert von 197. Zu Weihnachten gibt es jedoch auch gute Nachrichten: die European Medicines Agency hat den BioNTech-Impfstoff zugelassen, und Risikogruppen erhalten kostenlose FFP2-Masken. Ein Jahr nach Bekanntwerden der Pandemie in China!
Zusammenbruch auf ganzer Front
Im neuen Jahr bricht die deutsche Pandemie-Bekämpfung auf ganzer Front zusammen. Statt einer einheitlichen, konsequent verfolgten Strategie herrscht Regional-Anarchie. Ein panischer „Lockerungs“-Wettlauf zwischen den Bundesländern und innerhalb der Länder gibt der Pandemie weiten Raum zur Ausbreitung. Das ganze überstürzte, planlose Agieren in 2021 ist nicht einfach Dummheit, sondern eine Folge des wachsenden Drucks, den das Diktat der Kapitalvermehrung auf Regierungen und Regierte ausübt. Schon Marx hatte die „Produktionsanarchie“ mit dem Diktat des Kapitals zusammengebracht.
Der „harte Lockdown“ zeigt zunächst Wirkung: Ende Januar sinkt die deutschlandweite Inzidenz auf 100, bis 21. Februar auf 60 – dann ging es jedoch flott wieder aufwärts (bis Ende April). Sofort sprach man von einer „Dritten Welle“ – in Wahrheit lief die zweite weiter, nach kleiner Pause.
Als Grund für diese böse Entwicklung gibt die Regierung böse Virus-Mutationen an – wobei die Frage ist, ob diese Mutationen nicht die Ursache, sondern eine Folge des unentschiedenen, verschleppten Lavierens der kapitalistischen Pandemie-Bekämpfung sind. Eine Folge ist sicher, dass allein bis März 2021 mindestens 29.000 Menschen in deutschen Alten- und Pflegeheimen an Corona gestorben sind – obwohl die Politik vor allem die Schwächsten schützen wollte (Faz.net 6.3.2021).
Wo die Wirklichkeit nicht besser wird, werden Zahlen gedreht. Was man den sozialistischen Planwirtschaften stets vorgeworfen hatte, das praktizieren die Helden der „Globalisierung“ nun selber: sie reduzieren ihre Planziele. In der Pandemie-Bekämpfung bedeutet das ein Heraufsetzen der Grenzwerte, ab denen bestimmte Einschränkungen in Kraft treten. Dieser Trick soll die „Normalität“ näherbringen – er beweist jedoch das völlige Versagen der Pandemie-Bekämpfung.
Bürokratische Zahlenspiele
Am 10. Februar 2021 beschlossen die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs von Bund und Ländern, sich bei Öffnungsschritten an einer stabilen 7-Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den Ländern zu orientieren. 50 galt als Wert, bis zu dem die Gesundheitsämter mitkommen und „wir über Öffnungen reden können“ (Merkel).
Leere Worte. Der März beginnt trotz steigender Inzidenzen mit Lockerungen. Erst öffnen Friseure wieder, dann beschließt der Bund-Länder-Gipfel weitere Lockerungen. Minister Spahn findet das am 5.März selber merkwürdig: „Steigende Zahlen und Lockerungen – wie passt das zusammen? Es ist das Ringen um Balance zwischen unserem Bedürfnis nach mehr Normalität und der Notwendigkeit, unsere Gesundheit zu schützen.“ Da die Zahlen bei diesem „Ringen“ im März weiter steigen, müssen in einigen Regionen die Lockerungen wieder zurückgenommen werden. Schule auf – Schule zu – Schule auf. Ostsee für Touristen gesperrt, aber Mallorca auf. Chaotisch endet eine nächtliche Ministerpräsidentenkonferenz – die von Merkel verkündete „Osterruhe“ wird tags drauf vom Bundesverband der Arbeitgeber (BDA) und anderen Agenten des Kapitals wieder gekippt.
Nach diesem Spektakel musste die Bundesregierung den Schein von Herrschaft wahren und verkündete am 22. April 2021 die „Bundesnotbremse“. Statt der angestrebten Inzidenz von 35 oder 50 wurde – sicherlich nach Abstimmung mit dem BDA – das Offenhalten der Schulen bis 165 angesetzt, das Terminshopping bis 150, die Öffnung der Gastronomie bis 100. Gefahr gebannt? Um diese Zeit sterben noch etwa 1.000 Menschen pro Woche an Covid-19.
Der Versuch, das Chaos zu bändigen, erzeugte größeres Chaos. Kaum sank die Inzidenz unter 100, ging jedes Bundesland demonstrativ seinen eigenen Weg, als wäre Deutschland noch vor 1871 – und als wären Brandenburger Viren andere als Sächsische. Zwei Beispiele:
Schleswig-Holstein öffnete ab 17. Mai Hotels und Innengastronomie für Geimpfte, Genesene und Negativ-Getestete. Bis zu zehn Personen dürfen sich draußen treffen. Dafür machen die Schulen schon ab Inzidenz 100 dicht. Alkoholverbot in der Öffentlichkeit.
Mecklenburg-Vorpommern (MV) gestattet es ab 20. Mai, dass sich Menschen aus zwei Haushalten treffen. Ab 23. Mai sind Gaststätten geöffnet, im Innenraum nur für Geimpfte, Genesene, Getestete. Alle Geschäfte sind ab 25. Mai ohne Test usw. zugänglich. Ab 4. Juni dürfen Urlauber aus anderen Bundesländern wieder nach MV. Schulen und Kitas öffneten am 17. Mai nach Drei-Stufenplan. Kein Alkoholverbot. Der am 28. Mai veröffentlichte Katalog umfasst 88 Seiten.
Wer blickt da noch durch? Das monatelange Herumschrauben an Grenzwerten, das Hin-und-Her bei den Impfstoffen, das täglich wechselnde Wirrwarr an Verboten und Lockerungen plus regionale Diskrepanzen stumpfte viele Menschen ab; andere wurden wütend, gingen zu Trotzgemeinschaften über oder schwangen die Reichskriegsflagge.
Scheitern der Impf-Kampagne
Im März startete das Gesundheitsministerium eine großangelegte Test-Offensive zur moralischen Stützung der verfrühten „Lockerungen“. Alle Bürger sollten kostenlos von geschultem Personal mit Antigen-Schnelltests getestet werden können. Am 19. April gab es in Deutschland bereits 15.000 Testzentren. An Schulen wurde um die Wette getestet, falls überhaupt Testsätze vorhanden waren. Das Testen sollte ein Stück alten Lebens zurückbringen, das Shoppen und den Friseurbesuch. Vor allem half die lautstarke Offensive im Test-Sektor der Bundesregierung, das komplette Fiasko beim Impfen zu verdecken. Im Juni zeigte sich, dass nicht nur die Zuverlässigkeit der Tests, sondern auch die einiger Test-Veranstalter zu wünschen übrig ließ; die üblichen privatwirtschaftlichen Betrügereien.
Erstaunlicherweise wurde beim Impfen zur Plan- und Verteilungswirtschaft übergegangen, nachdem doch seit den 80er Jahren „der Markt“ als einzigwahres Heilmittel aller Weltübel beschworen wurde. In völlig undurchsichtigen Verhandlungen mit den (westlichen) Herstellern beschaffte die EU irgendwie den „heißen Stoff“ und rationierte nach obskuren Kriterien seine Ausgabe an die Nationen. Dementsprechend setzte unsere Regierung auf „Impfzentren“ statt auf die Ärzte, zu deren Job das Impfen ja eigentlich gehört hätte. Vermutlich hätten die Ärzte zu schnell gemerkt, wie dürftig der lebensrettende Stoff in einem der reichsten Länder der Welt verfügbar war.
Nach schleppendem Beginn der Impfungen im Januar (gemäß Prioritäts-Liste) stotterte die Kampagne im März immer noch: Ende März waren erst 5 Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft. Die Desorganisation der 15.000 Impfzentren stieß auf heftige Kritik, so dass das Bundesgesundheitsministerium nicht mehr umhinkam, ab 1. April den Arztpraxen das Impfen zu gestatten. Das lief gleich wesentlich schneller, allerdings versorgte der Bund die Ärzte nur mangelhaft mit Impfdosen, um das Konzept der Impfzentren und die entsprechenden Verträge zu retten. Bis Mitte Mai schaffte es die Bundesrepublik, gerade einmal 8 Prozent der Bevölkerung zweimal zu impfen – ein Skandal, der seinesgleichen sucht.
Mit einem Bruchteil der Summe, die an die Autoindustrie ging, hätte Deutschland den nötigen Impfstoff nebst Patenten etc. kaufen können (man schätzt 8 Milliarden EUR). Vielleicht hätte die Patent-Freigabe auch ärmeren Ländern geholfen und die Ausbreitung von Virus-Mutationen aus diesen Gebieten vermieden. Aber nein, internationales Denken ist schwierig, und Impfen hat hierzulande keine wirkliche Priorität, Dividenden sind wichtiger.
Wo blieb die Demokratie? Niemand forderte den Rücktritt des Gesundheitsministers oder der ganzen unfähigen Regierung. Stattdessen flammte in Deutschland der Ruf nach Vorrechten auf – nach Vorrechten für die Gruppe, die durch das lange Verschleppen der Pandemie erst entstand: die Gruppe der Geimpften, Genesenen und Negativ-Getesteten. Das Scheitern der Impfkampagne spaltete die Gesellschaft – wären alle geimpft, bräuchte es weder Sonderrechte, noch komplizierte digitale Ausweise.
Am 9. Mai trat die „Ausnahmeverordnung“ für Genesene, Getestete und Geimpfte in Kraft. Die Folge: vor allem Jüngere sind wütend (Pech gehabt). Und da in ärmeren Gegenden eh weniger geimpft wird, wächst die soziale Kluft weiter. Vorrechte für Geimpfte wären allenfalls gerecht, wenn jeder die Chance einer Impfung gehabt hätte. In einer Zeit, da Klarheit und Einigkeit nötig wären, erzeugten Impfpässe Zwietracht. In der ganzen „Corona-Krise“ spielte sich der Staat als Retter auf, auf Kosten des sozialen Zusammenhalts.
Impftermine für alle – aber kein Impfstoff

Um den wachsenden Unmut der Bevölkerung zu dämpfen, griff Minister Spahn zu einem neuen Propaganda-Trick: am 18. Mai verkündete er den Wegfall der bisherigen Priorisierung beim Impfen. Ab sofort darf sich jeder ü16 beim Hausarzt einen Impf-Termin holen – wohlgemerkt einen Termin, keine Impfung. Die Ärzte bedankten sich für diese Ehre: überrannt von Impfwilligen, jedoch ohne Impfstoff, flehten sie z.B. in Baden-Württemberg darum, von Termin-Anfragen abzusehen.
Die Tageszeitung „Die Welt“ triumphierte am 16. Mai: Deutschlands Inzidenz unter 100. Was nach den Zahlentricks der Regierung beinah so viel bedeutet wie: Geschafft! Wir sind frei! Corona besiegt! Und was geschieht, wenn nach einem Jahr die Impfwirkung schwindet? Und Mutationen aus Ländern einwandern, die sich Impfstoffe nicht leisten können? Ein internationales Vorgehen ist mit der „Globalisierung“ nicht verbunden, im Gegenteil. Auch wenn im Juni 2021 die Lage wieder entspannt scheint: Verschleppen und Versagen der Infektions-Bekämpfung haben Covid-19 als globalen Dauerzustand installiert. In Großbritannien breitet sich bereits die sog. Delta-Variante mit erschreckender Geschwindigkeit aus. Kein Naturereignis – alles von Menschen gemacht.
Blicken wir zum Schluss einmal zurück. Am 1. Juni 2020 lag die deutschlandweite Inzidenz bei 3,6. Bis dahin wurden rd. 8700 Corona-Tote gezählt. Ein Jahr später sind es 89.605 Tote (4. Juni 2021). Deutschland liegt damit auf Platz 9 der Liste der am schwersten von der Pandemie betroffenen Länder. Die Volksrepublik China beklagt seit Dezember 2019 insgesamt 4.955 Todesfälle (Stand 30. Mai 2021).
„Eure ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut.“ (Rosa Luxemburg)