Umweltverträglichkeitsprüfung vor Abrissgenehmigung

Abrisswahn stoppen

Angelburger Straße: die Gebäude des Kaufmannshofes wurden mit Ausnahme der Fassade abgerissen

Nachdem hier auf dieser Seite vor drei Wochen auf ein besonders absurdes Beispiel des Abrisswahns hingewiesen wurde (in der Nähe des für einen Hotelneubau abgeholzten Bahnhofswaldes wurde ein bestehendes Hotel abgerissen), hatte auch akopol sich dieses Themas angenommen und gut recherchiert: https://akopol.wordpress.com/2022/12/12/abrisswahn-auf-kosten-von-klima-stoppen-deutsche-umwelthilfe-und-architects4future-fordern-sofortiges-abrissmoratorium-und-forderung-von-bauen-im-bestand/

Vielen Dank dafür. Der Beitrag hat seine Grundlage in der Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe, die es lohnt, genau zu lesen, https://l.duh.de/p221212 (dann vor Allem auch das Faktenpapier und das Forderungspapier unten anzuklicken auf https://l.duh.de/p221212)

Dort heißt es: „Jedes Jahr werden zehntausende Gebäude abgerissen und neu gebaut, statt sie zu sanieren. Das belastet Klima und Ressourcen enorm und vernichtet in vielen Fällen bezahlbaren Wohnraum.“

Flensburg hat hier eine besonders üble Tradition. In Fruerlund Süd wurde wirtschaftlich abgeschriebener Wohnraum, der für unter 200 Euro monatlich pro Wohnung an Einpersonenhaushalte vermietet werden konnte, gegen den Willen und Widerstand der Mieter abgerissen und durch Wohnungsneubau ersetzt, der jetzt über 700 Euro monatlich pro Wohnung kostet. Durch den Abriss der „Billigkonkurrenz“ konnte auch im übrigen Altbaubestand die Miete drastisch erhöht werden. Die Menschen dort wohnen dort nicht besser, sondern nur teurer. Die „Kosten der Unterkunft“, auf die ein Flensburger Bedürftiger nach der „Hartz-IV“-Gesetzgebung Anspruch hat, wurde auf mittlerweile 433 Euro für den Einpersonenhaushalt ebenfalls erhöht. Das macht es nicht besser. Den Bedürftigen kann es egal sein, sie verhandeln nicht mit dem Vermieter über die Miethöhe, sie bekommen die hohe Miete ja ersetzt. Es ist eine Umverteilung von Steuergeldern der arbeitenden Menschen in die Taschen der Miethaie, Wohnungsmafia und Bodenspekulanten. Den noch nicht völlig verarmten wird es genommen, um es den Reichen zu geben (frei nach Nibor Dooh (1)). Fruerlund Süd passt gut in die Reihe der „Negativliste Gebäudeabrisse“ der Deutschen Umwelthilfe, in der Beispiele aus Berlin, Köln und Hamburg vorgestellt werden.

Zu dem sozialen Aspekt, den billigen, wirtschaftlich abgeschriebenen und damit bezahlbaren Wohnraum zu Gunsten der arbeitenden Menschen zu erhalten, der für Kommunisten wichtig ist, kommt das ökologische Argument.

Wir fordern eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die vor einer Abrissgenehmigung stattfinden muss. Die deutsche Umwelthilfe fordert zu recht: Erst wenn die Ökobilanzierung aufzeigt, dass unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus Abriss und Neubau ökologischer sind als ein Umbau bzw. eine Sanierung, ist ein Abriss zu bewilligen.“ Die Deutsche Umwelthilfe weist auch daraufhin, wie die Ökobilanz gefälscht werden kann, denn es wird nämlich „ausschließlich die Energie der Nutzungsphase berücksichtigt, jedoch die graue Energie (2) und auch der Verbrauch von Rohstoffen sowie die Erzeugung von Abfällen bleiben unberücksichtigt. Das kann in der Praxis dazu führen, dass alte Bauten abgerissen und durch Neubauten mit höherer Energieeffizienz ersetzt werden. Die Menge der dabei entstandenen neuen grauen Emissionen (3) ist enorm und kann kaum wieder im Betrieb eingespart werden.“

Wenn die Energie und die Emissionen von Abriss und Neubau mit eingerechnet werden, ist es fast immer ökologischer, alte Gebäude zu erhalten und gegebenenfalls zu sanieren und zu modernisieren. In den seltenen Fällen, wo ein Neubau sich auch ökologisch lohnt, müssen ein „selektiver Rückbau effektiv geplant und damit Wertstoffe dem Kreislauf bestmöglich zugeführt werden. So können die massiven Abfallmengen (ca. 55% des deutschen Abfallaufkommens) reduziert werden. Die Nutzung von Sekundärbaustoffen und -Bauteilen sollte möglichst regional stattfinden und wird somit unter anderem zu einer kommunalen Aufgabe. Die Bereitstellung von Lagerflächen von Sekundärbauteilen, Aufbereitungsanlagen auf Baustellen und regionaler Recyclinginfrastruktur ist zu fördern. Die verpflichtende Bauteilsichtung muss in der Musterbauordnung und in den Landesbauordnungen verankert werden.“

Das dänische Sønderborg hat einen bescheidenen Anfang gemacht, auf dem Containerplads = Recyclinghof Nørrekobbel gibt es einen kleinen genbrugsbyggemarked, wo gebrauchte Baumaterialien zur Wiederverwendung angeboten werden . Wenn alle diejenigen, die eine Abrissgenehmigung bekommen, verpflichtet würden, die Materialien so abzubauen, dass sie wiederverwendet werden können, wäre das Angebot größer und ein erheblicher Gewinn für die Umwelt und auch für die „Häuslebauer“.

Gebäude verfallen zu lassen, müsste als Verbrechen an der Umwelt sanktioniert werden. Claus Kühne hat in seinem Beitrag auf https://akopol.wordpress.com/2022/12/13/dem-verfall-preisgegeben/ einige scheußliche Beispiele dokumentiert. Vielen Dank, Claus.

Die Stimmung in der Bevölkerung ist für den Erhalt der alten Bausubstanz. Das haben auch die Kapitalisten der Baumafia erkannt. Deshalb wird gelogen und betrogen. Wenn am Bauzaun in der Angelburger Straße zu lesen ist, „Hier erhalten wir einen der ältesten Kaufmannshöfe der Stadt“ dann ist auf dem Foto oben doch klar zu erkennen: Die zum Kaufmannshof gehörigen Gebäude sind vollständig abgerissen bis auf eine abgestützte Fassade hin zur Angelburger Straße, die vermutlich in das Verblendmauerwerk des Neubaus integriert werden soll. Es handelt sich keinesfalls um Altbausanierung und Erhalt des alten Kaufmannshofes. Denn dazu hätten die gesamte alte Bausubstanz erhalten und nicht als Bauschutt vernichtet werden müssen. Altbausanierung ist Handarbeit und schafft dadurch auch mehr Arbeitsplätze als industrieller Neubau.

  1. Robin Hood hat der Legende nach von den Reichen genommen, um es an die Armen zu verteilen. Hier ist er umgedreht.
  2. Graue Energie ist die Energie, die eingesetzt werden muss, um ein Gebäude herzustellen und die dadurch in einem Gebäude „gespeichert“ ist.
  3. Graue Emissionen sind die, die durch die Graue Energie freigesetzt werden, also z. B. näherungsweise: zur Herstellung einer Tonne Zement wird eine Tonne Kohlendioxid in die Atmosphäre abgegeben.

P.S.

Die Einberechnung der benötigten Energie und verursachten Emissionen zur Herstellung eines Produktes kann ergeben, dass der jahrzehntelange Weiterbetrieb eines „Oldtimers“, wie sie noch häufig auf Kuba fahren, ökologischer ist als die Neuanschaffung eines modernen Kraftfahrzeuges mit Hybridantrieb, selbst wenn der Kraftstoffverbrauch pro 100 Kilometer nur noch halb so hoch ist. Denn so viele Tausend Kilometer wird das neue Kraftfahrzeug vielleicht gar nicht fahren können, bis es die für seine Herstellung und die Verschrottung seines Vorgängers benötigte Energie mit seinem geringeren Verbrauch wieder eingespart hat. Abwrackprämien für alte Autos (oder Heizungen) sind deshalb ökologisch gesehen Unsinn.